Im Bäckerladen oder davor

„Aufwachen!“ brüllte mich heute früh mein Hirn an und hätte es Hände, wäre ich wach geschüttelt worden. „Du musst Brötchen holen!“ wurde ich erinnert. Die beste Ehefrau von allen hatte sich Übernachtungsbesuch des entzückenden Enkelkindes eingeladen. Das gemeinsame sonntägliche Frühstück gehört zu den Traditionen, die nach Ansicht meiner Liebsten zu denen gehören, die ein Kind frühzeitig vermittelt bekomme müsse. So wurde ich also genötigt, zwei Körner-, zwei normale und zwei Dinkelbrötchen, sowie gleich auch ein Waldecker Brot (geschnitten bitte) einzukaufen. Flugs unrasiert und ungewaschen in die Schlumperklamotten geworfen, eilte ich mit dem Fahrrad den Berg hinab zum dörflichen Bäckermeisterkettenfilialgeschäft auf unserem Markplatz.

Der unerwartete Anblick auf dem zentralen Mittelpunkt unseres „Dorfes“ verblüffte mich dann doch. Zwischen wild kreuz und quer parkenden Fahrzeugen, die teilweise mit laufendem Motor abgestellt waren, schlängelten sich Menschenmassen, die an Nachkriegszeiten beim Anstellen vor den Fleischereien erinnerten. Es herrscht, abgesehen vom Brummend er Motoren, eine atemraubende Stille auf dem Marktplatz. Niemand sprach ein Wort, was sicherlich nicht nur an den zu Corona-Zeiten zu tragenden Alltagsmasken lag. Ich muss ja sagen, dass ich die unglaublich freundlichen und sehr zügig und geduldig arbeitenden Bäckereifachverkäuferinnen in unseren Dorfbäckerladen sehr bewundere. Sie begeistern mich immer wieder und lassen mich daran glauben, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die trotz allen Stresses ihren Beruf so sehr lieben, wie offenbar diese Damen. Ich ziehe meinen gedanklichen Hut vor ihnen.

Den möchte ich mir allerdings am liebsten vor das Gesicht halten, um das Elend der strunzdummen Kraftfahrenden nicht mit anschauen zu müssen. Ich weiß nicht, wo diese Fahrzeuglenkenden (männlich wie weiblich und sicher auch divers) das Autofahren gelernt haben. Es kann jedenfalls nicht viel gekostet haben oder war ganz umsonst. Zumindest war es vergeblich. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten gibt sich die Stadt Wuppertal redlich Mühe, eine einwandfreie Beschilderung aller Straßen und Plätze zu installieren. Und unsere Dorfgendarmerie gibt sich mit den Mitarbeitenden des Ordnungsamtes der großen Stadt sicherlich auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten viel Mühe, ab und an mal den hübsch gestalteten Markt zu befahren. Parken geht ja nicht, weil die drei Stellplätze ja entweder von Anwohnern belegt oder von quer davorstehenden Fahrzeugen aus Witten und Umgebung blockiert sind. Wobei mir gerade einfällt, dass unsere Vertreter der Obrigkeit ja genau die Sonderrechte haben, die von unseren hektischen Mitbürgern in Anspruch genommen werden. Alles wird gut, dachte ich mir.

Lange Schlangen vor Geschäften sind inzwischen eine noch ungewohnte Normalität und ich muss sagen, ich genieße sie. Sind sie doch Zeichen unseres Wohlstands. Manchmal spricht mich jemand mit den Worten „Armes Deutschland, so weit sind wir schon.“ an und ich kann lächelnd erwidern „Ja, so weit sind wir, dass wir endlich gelernt haben, wie es in anderen Ländern schon lange üblich ist. Nämlich gemütlich in der Reihe zu stehen und Gelassenheit zu üben. Gelassenheit in der sicheren Gewissheit, gut und freundlich alle begehrten Warne zu bekommen, die ich wünsche.“ Wir könnten so glücklich mit dem sein, was wir haben. Wären wir nicht irgendwie als Langerfelder, Wuppertaler sowieso und Deutsche ein Völkchen von Meckerern und Stänkerern. Hupps, mir fällt gerade auf, dass auch diese Worte aus eben jenem Grund entstanden sind.

Nein, die langen Schlangen vor dem Bäckerladen sind für mich Ausdruck von Wohlstand, erfolgreicher Erziehung und Vorbild für später, wenn Corona Geschichte ist. Der Anblick dummer Autofahrender wird uns wohl noch länger begleiten. Aber vielleicht gibt es ja irgendwann auch mal wieder autofreie Sonntage wie in den Siebzigern. Das wäre schön.

Ihr Schorse aus Langerfeld, der jetzt den freundlichen Verkäuferinnen ein Lachen ins Gesicht gezaubert hat.