Die Mauer – Im Kopf und anderswo
Gestern herrschte ungewohnte Stille in meinem Kopf. Gähnende Leere füllte meinen Schädel. Die liebste Ehefrau von allen würde jetzt wieder ihre eigenen Ansichten von der einen Gehirnzelle eines Mannes präsentieren, die einsam und allein in der leeren Hirnschale den Weg nach unten sucht. Wo alle anderen ihrer Art sind. Aber darum geht es mir heute nicht. Vielmehr lähmte offenbar der Gedanke an das meine Hirnwindungen, was mir die Frau an meiner Seite gestern androhte. Den Wandertag.
Mit Wandertagen verbinde ich höllische Schulausflüge, die mich Großstadtkind in die freie Natur nötigten. Ähnlich wie die Wuppertaler Innenstädterkinder habe ich mit 13 Jahren das erste Mal eine lebendige Kuh vor mir gehabt. Deshalb verbinde ich als ohnehin zuletzt gewählter Schüler im Schulsport eher Unwillen mit Wanderungen. Die Bestimmerin unserer häuslichen Essensauswahl lockte mich jedoch mit der Ankündigung von Schnitzel zum Mittagessen auf die neu eröffnete Schwarzbachtrasse, die unser „Dorf“ mit dem benachbarten Oberbarmen verbindet. Ich setzte folgsam ein romantisches Gesicht auf und trabte brav neben der Chefin meiner Wanderleidenschaft die Spitzenstraße in Richtung Eisenbahnlinien hinab.
Und da ragte sie vor mir auf. Die Langerfelder Mauer. Die Mauer aus Eisenbahntrasse Hagen – Elberfeld und Bundesstraße 7. Hier betrat ich die Grenze zwischen Alt-Langerfeld, dem Dorf, meiner erwählten Heimat und dem unbekannten Neubaugebiet jenseits dieser harten Trennlinie. Hier verläuft der Graben zwischen CDU- und AfD-Wählern, zwischen Gesamt- und Grundschulen, zwischen alten und neuen Denkmälern, Alt- und Neubauten. Ehrfurcht ließ mich schier erstarren, als mir bewusst wurde, was ich hier tat. Ich überschritt die Grenze zwischen meinem persönlichen Dies- und Jenseits. Nur auf meiner Seite gab es den grenznahen Friedhof. Nur drüben das Möbelhaus der Qualitätsmobiliare. Auf meiner Seite wurden früher Flugzeuge, Motorräder und Rennwagen gebaut, Innovationen gelebt und Kirchen errichtet. Drüben sind aus Barackenlagern schicke Siedlungen entstanden. Ein kleiner Schritt für mich, ein großer Schritt für Langerfeld, diese Verbindung zwischen Hier und Dort.
Wobei das nicht ganz richtig ist. Denn dem Grunde nach ist der Beginn der Schwarzbachtrasse hinter der Bahnlinie, also der ersten Schallmauer zu finden. An der Verbindung zwischen Grundstraße und Spitzenstraße wird schließlich noch gearbeitet. Doch in ferner Zukunft wird hier verbunden, was zu verbinden ist. Wobei wir dann alle hoffen können, dass die Extremwähler weiterhin brav in ihrem Wahlbezirk bleiben und nicht herüberschwappen. Dafür nehmen wir gern statt der ohnehin bald überflüssigen Hauptschule eine weitere Gesamtschule ins neue Gebäude in der Dieckerhoffstraße auf.
Ich glaube, so ganz bekommt man die Mauer zwischen Alt- und Neu-Langerfeld nicht aus dem Kopf. Aber das kennen wir ja schon mit der Mauer zwischen den Bundesländern, die westlich und östlich der Elbe gelegen sind. Doch wie im richtigen Leben kann man eine Mauer nur dann überwinden, wenn man darüber klettert und mal nachsieht, was es da drüben so an leckeren Sachen gibt. Das kennen wir von Nachbars Kirschen ebenso wie von der Friedhofsmauer. Die Älteren unter uns werden sich an diesen Nervenkitzel gern erinnern.
Jedenfalls ist die Trasse ein schöner Anfang. Wenn dann auch noch die Trasse durch den Tunnel unter der Langerfelder Straße hindurchführen wird, können die Nord-Langerfelder bis nach Beyenburg laufen und radeln, ohne Süd-Langerfeld eines Blickes zu würdigen. Und das lässt doch genügend Raum für weitere Arbeit am Zusammenwachsen. Vielleicht nutzen sie aber die Gelegenheit, links abzubiegen (hübsches Wortspiel, nicht wahr?) und an den vielen kleinen Veranstaltungen im alten Langerfeld teilzunehmen.
Ihr Schorse aus Langerfeld, der jetzt seine müden Füße unter den Esstisch streckt und den Bauch mit Langerfelder Schnitzeln füllt.